Das Kunst-Happening im Sommer 2016
Gastbeitrag von Juliane Rohr
Sieben Frauen fahren gemeinsam in einem VW-Bus an einem Juni-Montag zu Christos „The Floating Piers“ an den Lago d’Iseo. Das klingt verführerisch, zumal nach dem ersten Wochenende die erste Welle des Besucheransturms auf das Großprojekt abgeebbt sein müsste.
Nichts da - wir kommen gar nicht bis an den See. Schon vor Iseo wird unsere Truppe von der Polizei auf irgendeinen Parkplatz an einem Mini-Fußballstadion abgefangen und zum Parken verdonnert. 200 Meter weiter - zu Fuß über einen Feldweg - fange ich an zu zweifeln, ob der Ausflug wirklich so eine gute Idee war: Wir stehen an einem riesigen Parkplatz vor einem Möbelhaus und sind definitiv nicht die einzigen, die auf den Shuttlebus nach Sulzano warten. Von dort aus kämen wir auf den ersten Steg, der zur Monte Isola führt... Glück. Es geht schneller als erwartet und nach einer guten halben Stunde spuckt uns der stickig, überfüllte Bus in dem Örtchen am Iseosee wieder aus. Erster Blick: Polizei, Ordner, Absperrgitter und Menschengewirr. Eine Mischung aus Woodstock und Disneyland.
Der bereits auf den Bürgersteigen ausgelegte, wegweisende, orangefarbene Teppich lockt dann doch. Ruck zuck – dank gewitzter Abkürzung entdeckt von einer Freundin über den Christo-Fan-Shop - gelangen wir auf den ersten schwimmenden Wanderweg. Und sind sofort verzaubert. Barfuß geht es über den Stoff, der dekorative Falten wirft und sich fast wie Sand anfühlt, selbst am Rand, wenn Wasser darüber schwappt. Berühren der Kunst ist ausdrücklich erlaubt. Jeder wird hier zum Teil des Kunstwerks. Der schier unendliche Menschenstrom, der sich über das Wasser schiebt, verteilt sich auf dem 16 Meter breiten Weg erstaunlich gut. Abgrenzungen zum Wasser gibt es nicht, das würde den Zauber zerstören – alle paar hundert Meter stehen allerdings Guards und rote Schlauchboote sind für Notfälle im See unterwegs.
Christo beschenkt und verführt uns die nächsten Stunden auch
mit dieser Traumkulisse: Der in der Sonne funkelnde See, dahinter erheben
sich steile Berge, auf der Monte Isola drücken sich die Häuser malerisch an den
Berg und wirken wie eine Theaterkulisse. Ständig ziehen uns neue Blicke in den
Bann, verschieben sich die Sichtachsen auf den orangen Linien, die über dem Wasser schweben.
Eigentlich sind die Floating Piers nutzlos, das sagt der
bulgarisch stämmige Künstler sogar selber. Ja, man kann drüber laufen, aber ist
es Kunst? Öffentliche Kunst – Kunst
für alle. Es geht um Gefühle: sehen,
sich bewegen, barfuß fühlen und genießen. Die Atmosphäre ist es, die einen ganz und gar gefangen nimmt. Wasser, Wellen,
Wind und Wärme – kitschiger geht es kaum. Der Aperol Sprizz und ‘ne dicke Tüte
salzige Chips schmecken uns mit Blick auf die Insel San Paolo und deren orangefarbener Umrandung besonders gut.
Warum nicht im Chaos der immer lauter werdenden Weltgeräusche
von Populismus, Brexit usw. einfach mal Schönheit
und Freude pur schenken? „Grazie Christo“ rufen die Menschen auf
den Wasserwegen, als der Künstler tatsächlich mit einem doppelstöckigen Boot
vorbeirauscht.
Diese Stege sind ein Eingriff in die Landschaft des
Iseosees. Von oben wirken sie wie ein abstraktes
Gemälde. Typisch für den 81jährigen, knöpft er sich auch Architektur vor
und verändert sie – wie am Reichstag
1995 in Berlin oder 1994 im Schraubenmuseum
von Mäzen Reinhold Würth im
schwäbischen Gaisbach. Seine Kunsteingriffe kann man auch nicht mögen, ihnen
mit Skepsis und Kritik begegnen. Schon weil sie als Großprojekte die Umgebung
in den zwei Wochen ihres Daseins nachhaltig verändern. Keine Frage.
Uns sieben Frauen aber haben die Stunden auf dem Iseosee mit
die magischsten Momente des Jahres geschenkt. Und den vielen Menschen, denen
wir dort begegnet sind wohl auch – zumindest ihrem Lächeln nach zu urteilen.
http://issuu.com/tokipoki /docs/christo_the_floatin gpiers_2016_jr?e=2194082/ 36787226
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Fakten: 3 Kilometer führen die Stege über den
Iseosee zur Monte Isola und San Paolo-Insel
Sie sind 16 Meter
breit und 35 Zentimeter hoch
220 000
Kunststoff-Schwimmwürfel werden von
100 000 Quadratmetern
safrangelbem Polyamidgewebe umhüllt,
das je nach Lichteinfall gelb, orange oder rötlich wirkt.
190 Ankern halten
die Stege.
Kosten 15 Mio. Euro,
die Christo mit Verkauf von Kunst rund um das Projekt selbst aufbringt.
22 Monate
brauchte er für die Realisierung des Projektes. Die erste Idee dazu hatte Christo
schon vor 46 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Jeanne-Claude eigentlich für das
Rio de la Plata Bassin in Argentinien, aber die Behörden dort gaben kein Go.
Mehr Infos unter www.thefloatingpiers.com
Noch bis zum 3. Juli
2016
Der Eintritt ist frei.
Eigentlich 24 Stunden zugänglich - zwischenzeitlich waren die Stege nachts für Wartungsarbeiten
gesperrt einfach auf der webseite checken
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Text & Fotos ©2016 Juliane Rohr
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